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Sami Adnan von der Gruppe Workers Against Sectarianism über die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Bagdad

Interview: Lilli Helmbold, Hans Stephan und Thomas Waimer

Anfang Oktober 2019 brachen im Irak Aufstände aus, die bis heute andauern. (ak 653) Die Regierung reagierte mit gewaltsamer Repression, der bereits mehr als 500 Menschen zum Opfer fielen. Der irakische Aktivist Sami Adnan von der Gruppe Workers Against Sectarianism (Arbeiter gegen den Konfessionalismus) befindet sich auf dem besetzten Tahrir-Platz in Bagdad. Sami Adnan ist seit Jahren in linken Initiativen in Bagdad aktiv und schreibt als Journalist über prekäre Arbeit und die Situation von Erwerbslosen im Irak. Das Interview wurde Ende. Januar und Anfang Februar 2020 per Email geführt. In dieser Zeit spitzten sich die Proteste erneut zu, als der ehemaligen Kommunikationsminister Mohammed Tawfik Allawi gegen den Willen der Protestierenden zum Premierminister ernannt wurde. Zugleich forderte auch der einflussreiche schiitische Führer Muqtada al-Sadr ein Ende der Platzbesetzungen, an denen auch Anhänger seiner Bewegung teilnehmen. Schließlich griffen Mitglieder seiner Miliz im ganzen Land die Protestcamps an. Hierbei gab es mehrere Toten.

Sami, du bist in der Gruppe Workers Against Sectarianism aktiv. Kannst du uns mehr über die Gruppe erzählen? Warum steht bei euch der Gegensatz zwischen Arbeitern und dem konfessionellen System im Vordergrund?

Sami Adnan: Wir wollen die Aktivitäten und Perspektiven der Arbeiterklasse im Irak hervorheben. Uns gibt es erst seit einem Jahr. Wir sind ungefähr 25 Leute, alle jung und arbeitslos, und wir engagieren uns in den Protesten gegen den irakischen Staat. Unser Ziel ist es, mit anderen Arbeiterinnen und Arbeitern weltweit in Verbindung zu treten. Wir haben jetzt auch ein Zelt auf dem Tahrir-Platz, insbesondere für Leute, die arbeitslos sind. Auch als Arbeitslose gehören wir zur Arbeiterklasse. Wir sind die Reservearmee, vor allem für die verschiedenen religiösen Milizen. Es ist unser Interesse, das konfessionelle System zu beenden, denn es schadet unserer Klasse enorm. Wir werden in den Auseinandersetzungen zwischen den Milizen ausgenutzt. Die meisten Toten bei Kämpfen zwischen den Milizen stammen aus unserer Klasse. Wir wollen nicht, dass sich unsere Freunde den Milizen anschließen, nur weil sie Geld brauchen. Wir fordern deshalb unter anderem auch Jobmöglichkeiten und eine Arbeitslosenversicherung.

Ihr nehmt an der Besetzung des Tahrir-Platzes in Bagdad teil. Was geschah dort in den letzten Tagen?

Der Iran hat Anfang Januar im Irak auf einen Schlag zwei Führer verloren: General Qasem Soleimani, Irans Vertreter in der Region, und den proiranischen Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis. Als Reaktion auf ihren Tod reiste der schiitische Milizenführer Muqtada al-Sadr in den Iran, wo er sich mit Ajatollah Khamenei und mit anderen irantreuen irakischen Milizen traf. Al-Sadr ist eine populäre Persönlichkeit, seine sogenannte Reformallianz Saairun hat 54 Sitze im irakischen Parlament. Man muss dazu wissen, dass Anhänger al-Sadrs auch auf dem Tahrir-Platz protestieren. Nach seiner Rückkehr aus dem Iran dachten einige Demonstranten, er wolle vielleicht in Soleimanis Fußstapfen treten und die iranische Politik in der Region durchsetzen. So kündigte er zum Beispiel eine Demonstration gegen die US-Truppen im Irak an. Nach dieser Demonstration forderte al-Sadr, dass sich alle Menschen von den Protestplätzen im Irak zurückziehen sollten, was viele Leute sehr wütend machte. Die Aktivistinnen und Aktivisten sahen hierin einen Verrat. Die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz gingen mit Parolen gegen al-Sadr und den Iran weiter. Die Leute sangen »Kein Amerika, kein Iran, mein Land wird frei sein« oder »Muqtada ist Müll und ein Führer von Dieben«.

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