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BY Schluwa Sama

Ein Jahr nach dem Beginn der irakischen Revolution haben sich wieder Aktivist*innen und Protestierende auf dem zentralen Tahrir-Platz in Bagdad versammelt. Viele von ihnen tragen schwarze T-Shirts: «Wir tragen schwarz, um unserer Märtyrer und gefallenen Freunde zu gedenken», erklärt einer der Jugendlichen. Gleichzeitig entsteht auch eine revolutionäre Stimmung, als am frühen Morgen des 1. Oktober bei einer zentralen Demonstration auf dem Platz eine Reihe von Tuktuks, die zum Symbol der unterdrückten Klasse und der Revolution geworden sind, eine Tuktuk-Parade veranstalten. Es scheint nicht nur ein Tag der Erinnerung, sondern auch ein Tag der Trauer, des Stolzes und der Forderung nach einer Erneuerung des Revolutionsprozess zu sein.

Schluwa Sama hat in Berlin, Marburg und London, Politik und Wirtschaft Westasiens und Nordafrikas studiert und anschließend in Sulaymaniya, Kurdistan-Irak gearbeitet. Zurzeit promoviert sie zur politischen Ökonomie des Iraks und Kurdistans am Centre for Kurdish Studies, University of Exeter

Vor genau einem Jahr begann die irakische Revolution, die schnell als Oktoberrevolution bezeichnet wurde. Sie zeichnete sich durch ein unglaublich großes Ausmaß an Selbstorganisation, Durchhaltevermögen und Leidenschaft der Jugend für die Ziele der Revolution aus. Zentrales Ziel war der Sturz des gesamten nach 2003 entstandenen Systems und seines sektiererischen und korrupten Machtapparats. Der Tahrir-Platz in Bagdad war einer der zentralen Protestplätze, der bis heute besetzt gehalten wird. Vor knapp einem Jahr noch wiesen revolutionäre Künstler*innen auf den Tunnelwänden des Tahrir-Platzes auf die Rolle von Frauen und Tuktuk-Fahrer*innen in großen Graffitis hin. Heute wurden mehrere Porträts von Märtyrer*innen auf die Wände gemalt. Auch viele der Zelte, die im letzten Jahr von unterschiedlichen Protestgruppen genutzt wurden, sind heute nach verschiedenen Märtyrer*innen benannt.

Gesichter der Märtyrer auf dem Tunnel zum Tahrir-Platz, Bagdad, 1.10.2020
Gesichter der Märtyrer auf dem Tunnel zum Tahrir-Platz, Bagdad, 1.10.2020Foto: Schluwa Sama

Die Märtyrer*innen

Ein Zelt heißt heute «Zelt des Märtyrers Abu Ahmed Al-Timimi». Abu Ahmed war Bildhauer und stellte seine Skulpturen auf dem Tahrir Platz als Beitrag zur Kultur der Revolution aus. Abu Ahmed wurde von der Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei getötet.

Unter den Märtyrer*innen sind viele sehr junge Männer wie zum Beispiel Saffa Al-Saray, dessen Gesicht heute ein Sinnbild für alle Märtyrer*innen der Revolution geworden ist. Er war einer der bekanntesten Aktivist*innen, die letztes Jahr während der Proteste durch den Beschuss mit Tränengaskanistern getötet wurden. Gleichzeitig wurden aber auch junge Frauen ermordet, und es gab verschiedene Entführungen und gezielte Attacken auf Aktivistinnen. Ihrer gedenkt der heutige Protest des Frauenmarsches vom Kahramane-Platz zum Tahrir-Platz. Dies ist ein vom Staat genehmigter Protest, bei dem verschiedener Aktivistinnen gedacht wird, so zum Beispiel der Aktivistin Sara Talib aus Basra. Sie war eine der ersten Frauen, die an der Frontlinie den Protestierenden medizinische Hilfe leistete.

Die Sicherheitskräfte des Staates, die neben der Demonstration herlaufen, agieren friedlich. Ein Sicherheitsmann hat eine Kamera dabei und fotografiert Sicherheitskräfte und Demonstrant*innen. Zahra (Name geändert) eine der Aktivistinnen beim Frauenmarsch, erklärt, dass dies einfach nur ein Teil ihrer neuen Taktik ist, mit der sie an ihrem öffentlichen Image arbeiten. Damit wollen sie als volksnah erscheinen. «Wie sollen wir das akzeptieren nach all den Toten, die sie zu verantworten haben?»

Frauenmarsch am 1.Oktober 2020 in Bagdad
Frauenmarsch am 1.Oktober 2020 in BagdadFoto: Schluwa Sama

Tatsächlich wurden mehr als 600 Demonstrant*nnen getötet und Tausende verletzt. Viele Aktivist*innen sind aufgrund von Drohungen aus dem Land geflohen oder kommen nicht auf den Tahrir-Platz, wie die Frauenrechtsaktivistin Samia berichtet. Gleichzeitig grüßt sie, während wir über den Platz laufen, fortlaufend verschiedene Aktivist*innen.

Ahmed, ein Tuktuk-Fahrer, ist trotz aller Verluste froh, dass der Tahrir-Platz gegen Mittag voll wird und dass es verschiedene kleine Märsche und Proteste gibt: «Das gibt mir Hoffnung.» Er sitzt mit einem Freund in seinem Tuktuk auf der Jumhuriya-Brücke, die mittlerweile voll ist mit Demonstrant*innen. Auf ihren T-Shirts sind die Namen und Gesichter ihrer gefallenen Freunde zu sehen, während sie die irakische Flagge schwenken, zu der sie hinzugefügt haben: «Die Revolutionäre Bagdads. Die Gruppe der Schützer des Tahrir.» Dabei skandieren sie, an die Aufstandsbekämpfungseinheiten der Regierung gerichtet: «Versucht was ihr könnt, aber das Volk ist immer noch stark (Hele `Aleyhu hele. Al-Sha`ab ba`ad bi hela).»


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