| | Interviews with WAS

Seit Oktober 2019 demonstrieren täglich junge Menschen, Erwerbslose, Arbeiter:innen und Student:innen gegen die derzeitige Lage des Iraks: Massenarbeitslosigkeit, wenig Perspektiven, instabile Stromversorgung, schlechtes Gesundheits- und Schulsystem. Doch diese alltäglichen Probleme sind nicht im luftleeren Raum entstanden. Nach der US-Invasion 2003 regieren vor allem Religiöse, US-amerikanische und iranische Milizen unter Aufsicht einer korrupten irakischen Regierung die Straßen Iraks. Diese sorgten vor allem für eine religiös und ethnisch gespaltene Gesellschaft. Die linkspolitische Organisation „workers against sectarianism“ (WAS) setzt sich seit Anfang der sogenannten neuen „Oktober Revolution“ gegen diese Spaltung ein.

Die Einschüchterungsversuche des Staates brachten mehr als 100 Märtyrer:innen, über 20.000 Verletzte und unzählige Entführungen und Folterungen unter den Demonstrant:innen. Auch der Versuch, die Demonstrationen durch einen Beamt:innenwechsel zu stillen, ist gescheitert. Zwar änderten sich die Gesichter, aber die Probleme blieben beständig. Seit den Aufständen wurden immer mehr junge Menschen politisiert. Sie wollen nicht nur ein Ende der Perspektivlosigkeit. Sie fordern viel mehr ein Systemwechsel. Immer mehr Menschen, besonders die junge Generation, beschäftigen sich mit der Ursache der Umstände, lesen mehr und fordern dadurch mehr.

„Die Revolution schuf eine Generation, die sich weigert, der modernen [Lohn-]Sklaverei unterworfen zu werden“, so die WAS-Aktivistin Hajra. Sie verstehen, dass die religiöse Oberschicht viel mehr die Interessen der „terroristischen“ und korrupten Regierung des Iraks, aber auch des Libanons und des Irans unterstützen. Vom Iran bis Libanon herrscht nämlich ein ähnliches, kapitalistisches System durch ein politisch-islamisches Establishment, das die Religion für die eigenen Profite instrumentalisiert, weshalb in der gesamten Region eine Protestwelle ausgelöst wurde. Die Demonstrant:innen fordern den sofortigen Rückzug aller Milizen im Irak, sowie das Ende der Einmischung imperialistischer Staaten, wie der USA, Iran, Russland und auch China in der gesamten Region.

Ein zerstörtes Gesundheitssystem

„Die Staat ist nicht in der Lage, Krisen aufzuhalten“, so die Aktivistin der irakischen Organisation WAS – denn in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind Krisen unabdingbar. Die staatlichen Institutionen im Irak sind korrupt, weshalb sie die Pandemie in Gänze vernachlässigt haben. Ärzt:innen und Pfleger:innen sind jene, die das Virus aus eigener Initiative bekämpfen wollen – „die weiße Armee“ wie die Aktivistin Hajra sie nennt. Doch die jahrelangen Kriege und wirtschaftlichen Sanktionen in der Vergangenheit haben ein zerstörtes Gesundheitssystem hinterlassen, denn nur die Wenigsten können sich eine ärztliche Behandlung leisten. Die Dunkelziffer der Infizierten ist weit höher als die registrierten Corona-Fälle und somit auch die Gefahr für die Arberiter:innenklasse. Doch das Virus hielt die Menschen nicht davon ab, zu protestieren. Sie wurden vielmehr ermutigt, denn die Ungerechtigkeiten wurden sichtbarer. Die starken Repressionen des Staates gegen die Protestierenden hielt die Aufstände nicht auf und genau so wenig die Pandemie. Denn das Motto lautet: „Das Virus hat nicht die Menschen getötet, sondern die Regierung!“


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